„Werke dienen der Läuterung des Herzens, führen aber nicht zur Erkenntnis der Weisheit. Wahrheit erschließt sich durch kritisch unterscheidendes Nachdenken und Abwägen, Vichara, und nicht im Geringsten durch Millionen von Werken.“ So schreibt es Sankara im Werk „Viveka Chudamani“ im 11. Vers. Also, was wir machen an Karma, das sind jetzt Werke, und das sind sowohl wohltätige Werke, das sind Rituale, es sind aber auch Praktiken wie Asanas, Pranayama, Mantrarezitation, das allein führt nicht zur Verwirklichung, aber es führt zur Läuterung des Herzens. Was Ähnliches übrigens sagt auch Patanjali im Yoga Sutra. Im Yoga Sutra spricht Patanjali im 2. Kapitel davon, wie man Avidya, Unwissenheit, überwinden kann, nämlich mit Viveka Khyati. Viveka Khyati, beständige Unterscheidung. Und dann schreibt er danach, „Und um den Geist zu Viveka Khyati zu führen, praktizieren die Yogis sieben Stufen.“ Yama, Niyama, Asana, Pranayama, Pratyahara, Dharana, Dhyana, diese sieben praktizieren wir und das hilft, dass der Geist bereit ist zu Viveka Khyati und dann kommen wir zu Samadhi. Und das finden wir letztlich in allen Yogawegen. Natürlich, der Sankaracharya spricht jetzt von Jnana Yoga und legt großen Wert auf die Viveka, die Unterscheidungskraft. Er sagt, alles andere bereitet einen vor, dass wir Viveka üben, die Unterscheidungskraft. Bhakti Yoga würde es jetzt nicht ganz so sehen. Also, es gibt ja das Bhakti Sutra von Narada und dort wehrt sich sogar der Narada gegen – man könnte sagen – die Vereinnahmung durch die Jnana Yogis. Da heißt es nämlich, manche sagen, dass Bhakti ein Hilfsmittel ist für Jnana. Andere sagen, dass Jnana ein Hilfsmittel ist für Bhakti. Und Narada sagt dann, Bhakti allein ist sich selbst genug und durch Bhakti und Bhakti allein erreicht der Weise die Selbstverwirklichung. Also, er setzt dort etwas anderes hin und sagt, über Bhakti Yoga können wir die Verwirklichung erreichen. Aber Narada würde nicht sagen, wenn wir ausreichend viele Stunden Puja geübt haben, dann haben wir die Selbstverwirklichung erreicht. Und er würde auch nicht sagen, „Wenn du ausreichend Japa geübt hast, erreichst du die Selbstverwirklichung.“ Und auch nicht, „Wenn du soundso viele Stunden Mantras gesungen hast, erreicht zu die Selbstverwirklichung.“ Auch nicht, „Wenn du soviel Quadratmeter deiner Wand mit Götterbildern voll hängst, erreichst du die Selbstverwirklichung.“ Sondern, die Verwirklichung kommt durch Liebe, im Bhakti-Sinn. Alles andere ist Hilfsmittel. Alles andere hilft natürlich. Natürlich, Mantrasingen hilft, Liebe im Herzen zu erzeugen. Wer Pujas macht, kann diese Liebe spüren. In der Homa können wir Liebe spüren. Aber es ist die Liebe letztlich, die im Bhakti zur Verwirklichung führt. Die Liebe, und wenn sie dann zur Verwirklichung führt, wird es als Gnade erfahren. Und dort würden wir nicht sagen, „Ah, ich habe Gott ausreichend verehrt, deshalb habe ich ihn verwirklicht.“ Ich kenne keine Biographie eines Meisters, wo der Meister sagt, „Ja, ich habe Gott stark verehrt und wegen meiner starken Verehrung habe ich ihn verwirklicht.“ Es gibt Meister, die sagen, „Ja, ich habe ihn verwirklicht und du kannst ihn auch verwirklichen. Aber letztlich ist es durch Gnade gekommen.“ Insgesamt wird man sagen können, im Höchsten kommt die Verwirklichung entweder durch Bhakti oder durch Jnana. Ihr lernt hier zwar sechs Yogawege. Was gibt es außer Bhakti und Jnana noch? Raja Yoga, Karma Yoga, Hatha Yoga und Kundalini Yoga. Man kann es auch noch anders einteilen. VivekAnanda hat es nur in vier eingeteilt und Patanjali sagt an einer anderen Stelle, „Yogas Chitta Vritti Nirodha. Yoga ist das Zur-Ruhekommen der Gedanken im Geist. Tada Drashtuh Swarupe Vasthanam. Dann ruht der Sehende in seinem wahren Wesen.“ Ich muss allerdings sagen, mir ist jetzt kein Yogameister der letzten paar hundert Jahre bekannt, der die Selbstverwirklichung dadurch erreicht hatte, dass er seinen Geist hundertprozentig zur Ruhe gebracht hat über systematische Beherrschung des Geistes. Oder im Kundalini Yoga würde man sagen, Kundalini erwecken, ins höchste Chakra. Ist Kundalini im Sahasrara Chakra, ist Shiva und Shakti eins und dann – Selbstverwirklichung. Wiederum kann ich dort sagen, mir ist jetzt keiner bekannt, der die höchste Verwirklichung erreicht hat durch intensive Kudalinipraktiken. Letztlich sind das alles Vorbereitungen und Hilfen. Letztlich, alle großen Meister, wie VivekAnanda, Rama Krishna, wie Sivananda, Ramana Maharshi, Shir Oru Bindu oder auch Papa Ramdas und viele andere, Mutter Krishnabai, Anandamayama, letztlich ist es entweder über Jnana Yoga oder Bhakti Yoga und meistens beides. Der Mensch ist so kompliziert und so komplex, im Raja Yoga müsste man sagen, man muss alle seine Marotten überwinden und dann hat man die Selbstverwirklichung. Den Geist vollständig beherrschen. Jetzt aus euerer Erfahrung, diejenigen, die länger als zehn Jahre praktizieren. Was denkt ihr, zu wie viel Prozent habt ihr euren Geist unter Kontrolle? Wie viel Prozent Fortschritt habt ihr gemacht die letzten zehn Jahre? Also, keiner traut sich jetzt. Nachdem ich so angefangen habe, selbst diejenigen, die jetzt sagen würden, zwanzig Prozent… Ich kann euch aber hier einen Trost geben. Der Trost ist, ihr müsst eueren Geist gar nicht mal so vollständig beherrschen. Oder diejenigen von euch, die intensiv Pranayama üben. Was denkt ihr, wie viel Prozent der notwendigen Kundalinierweckung habt ihr inzwischen erreicht? Wie viel Prozent des Weges ist noch vor euch? „Kann morgen kommen. Vielleicht sind es schon 99 Prozent.“ Und außerdem, wenn wir die ganzen 8.400.000 Inkarnationen dort einsetzen, wenn es noch zehn Inkarnationen sind, habt ihr nur noch ein Millionstel vielleicht noch zu machen. Aber ich will damit eben auch nur sagen, es ist gut, an seinem Geist zu arbeiten, es ist gut, sein Prana zu erhöhen, es ist gut auch, uneigennützigen Dienst zu machen, aber all das sind letztlich Vorbereitungen. Und dann geht es darum, entweder Gott sich ganz hinzugeben und alles, was man macht, Gott darzubringen, einschließlich von all diesen großen Eigenschaften, die man in sich kultiviert hat, einschließlich allem Prana und Kundalinierweckung, einschließlich aller Fehler und Probleme und Neurosen und sonstigen Geschichten, all das bringen wir Gott dar. Und dann kommt die Gottnähe und sie kann klein da sein, sie kann groß da sein. Wir müssen noch nicht mal die volle Verwirklichung haben, um Gott ganz zu spüren. Wir müssen noch nicht mal halbwegs vollkommen sein, um Gottes Gegenwart zu spüren – das ist jetzt Bhakti Yoga – wir können es auch so schon spüren. Und Swami Vishnu-devananda hat uns das gerne auch immer wieder so gesagt. Er hat gesagt, „Auf der einen Ebene, arbeitet an euch selbst und dient anderen. Auf der anderen Ebene letztlich, Gott mag euch, so wie ihr seid. Daher könnt ihr euch auch so darbringen, wie ihr seid, mit allem, was ihr habt.“ Und genauso auch mit Jnana Yoga. Auf der einen Seite ist auch wieder gut, an sich zu arbeiten, aber dann gilt es, sich zu lösen vom Vergänglichen. Wir werden nicht mehr oder weniger, dadurch, dass wir an uns arbeiten. Das hilft, uns zu reinigen, das hilft, uns zu lösen, das hilft uns, Viveka Khyati zu entwickeln, aber letztlich geht es darum, unsere wahre Natur zu erfahren. Und das wiederum kann vielleicht noch heute passieren oder vielleicht nächsten Sonntag, also Sonntag in acht Tagen. Aber vielleicht auch schon jetzt. Und im Kleineren, nehme ich an, habt ihr das alle schon mal erahnt, sonst hättet ihr euch nicht ausgerechnet zu diesem Viveka… Ich weiß ja nicht. Vielleicht seid ihr nur deshalb gekommen, weil Narayani Asanas unterrichtet und jetzt nehmt ihr das auf euch. Oder um das 2-Jahres-Zertifikat zu kriegen, dass die Krankenkassen vielleicht euch eure Kurse bezahlen und dann lasst ihr jetzt diese eigenartige Wortschwelle über euch ergehen. Menschen machen ja vieles, aber ich nehme eigentlich an, ihr seid interessiert an diesem höchsten Wissen und deshalb seid ihr auch hier und ihr habt es auch schon irgendwann mal erahnt. Und diese Aussagen, „Aham Brahmasmi“, haben euch irgendwann schon mal berührt und vielleicht einige von euch so tief berührt, dass sie wissen, „Was auch immer sonst geschieht, so erheblich ist es nicht.“ So wie Swami Sivananda gerne gesungen hat, „Hara Hala Me Almasta Satchidananda Hum. Was auch immer geschieht, ich bleibe immer Sein, Wissen und Glückseligkeit.“ Dieses Bewusstsein ist letztlich die höchste Entspannung. Ähnlich auch wie Bhakti Yoga, wissen, „Gott allein ist und Gott liebt mich so, wie ich bin. Egal, was ich tue, Gott liebt mich trotzdem.“ Auch höchste Entspannung und das, was Bhakti und Jnana letztlich einem gibt. Es gibt einen – obgleich sie beide darauf bestehen auf Mumukshutva – dennoch ein tiefes Gefühl von Entspannung und nimmt uns jegliche Form von Leistungsdruck. Das sollte uns nicht zu trägen Menschen machen, wir sollten weiter Asana, Pranayama, Meditation, Mantrasingen praktizieren, aber wissend, das wirkt auf unsere Koshas. Das, worum es geht, das ist unabhängig davon. „Hara Hala Me Almasta Satchidananda Hum. Was auch immer geschieht, meine wahre Natur ist Sein, Wissen und Glückseligkeit.“
25. Teil der Niederschrift von Vorträgen im Rahmen eines Yogalehrer Ausbildungs-Seminars mit Sukadev Bretz bei Yoga Vidya Bad Meinberg. Thema dieses 9-tägigen Vedanta-Seminars war „Viveka Chudamani von Sankaracharya“. Erklärungen für die Sanskrit Ausdrücke findest du im Yoga Sanskrit Glossar. Dieser Blog ist nicht geeignet für Yoga Anfänger. Er ist vielmehr gedacht für Menschen, die sich in Yoga Philosophie auskennen und regelmäßig Meditation praktizieren, sich als spirituelle Aspiranten verstehen. Yoga Anfängern wird das Yoga Anfänger-Portal empfohlen.
Wahnsinns Blogpost.Ich habe einige schöne Denkanstoesse gekriegt. Warte auf weitere Posts.