Viveka Chudamani Vers 2 – Fortsetzung: Was heißt es Mensch zu sein?

Ich hatte heute Morgen begonnen, über den 2. Vers auch zu sprechen. Der 2. Vers ist einer der bekanntesten, häufig rezitierten. Auch als Swami Yoga SwarupAnanda da war, hat er ihn mal rezitiert. Als Swami MuktAnanda da war, hat er ihn rezitiert. Es ist so wie die Grundlage.
Drei Dinge sind schwer zu erreichen. Manushyatam, Mumukshutvam, Mahapurusha Samshrayaha. Manushyatam heißt, eine menschliche Geburt. Es heißt auch, ein menschenwürdiges Dasein. Und es gibt dort ganz unterschiedliche Interpretationen von diesem Vers. Swami Vishnu-devananda hat es insbesondere als menschenwürdiges Dasein bezeichnet. Man kann auch sagen, es ist erstmal etwas Gutes, überhaupt als Mensch geboren zu werden. Da ist die Frage, „Warum, ein Hund hat es doch auch ganz gut?“ Manchmal denke ich so, ich habe ja auch einen Hund, bzw. meine Frau hat einen Hund, damit habe ich auch einen Hund und der ist eigentlich recht zufrieden. Vermutlich ist der zufriedener als der Durchschnittsmensch. Der schläft seine 16 Stunden am Tag, dann kriegt er was zu fressen, braucht sich dort nicht zu kümmern. Wenn er will, holt er sich seine Streicheleinheiten ab, wenn nicht, verzieht er sich irgendwo. Und dann kommt er mehrmals am Tag raus und irgendwo, warum soll es ein Mensch besser haben als so ein Hund? Natürlich kann man sagen, er hat auch keine einfache Kindheit gehabt, war aus dem Tierheim und als wir ihn gekriegt haben, hat er einige Verhaltensauffälligkeiten gehabt, die darauf geschlossen haben, in welche schwierige Mensch-Hund-Probleme er vermutlich hineingekommen ist. Aber ein Hund scheint das leichter zu verkraften und zu verarbeiten als ein Mensch. Also, warum soll es gut sein, Mensch zu sein? Oder als Ameise, ist vielleicht noch besser. Und da ist natürlich die große Aussage, der Mensch kann nach dem Höchsten streben, der Mensch hat Viveka, mindestens die Fähigkeit dazu, was eine Fähigkeit von Buddhi ist, der Unterscheidungskraft. Der Mensch kann sich fragen, „Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich?“ Das kann ein Tier nicht, nehmen wir mindestens an. Und ein Tier hat nicht diese Fähigkeit zur Selbstreflexion. Natürlich, die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist ja auch eine wunderbare Weise, sich unglücklich zu machen. Viele Menschen denken ständig, „Was denkt er über mich? Was denkt sie über mich? Was kann passieren, wenn…? Was wird noch alles geschehen?“ Das ist ja auch eine besondere Fähigkeit des Menschen, die auch sein Überleben irgendwo gefördert hat. Und so in der modernen Psychologie geht man sehr viel von Evolutionspsychologie aus, auch als Paläontopsychologie bezeichnet. Also, man nimmt an, vieles, was der Mensch heute macht, hat die Begründung in der Steinzeit. Und z.B. angenommen, es gab in der Steinzeit so ein paar Menschen, die haben gedacht, „Ah, die Natur ist schön. Die Gänseblümchen sind schön. Lass mich dort irgendwo auf der Wiese diese Schönheit genießen.“, dann kam der Säbelzahntiger und hat ihn gefressen. Und dann gab es jemand anderes in der Höhle, der hat überlegt, „Wer weiß, was da passiert? Ich bleibe besser mal da und warte ab und dann gucke ich mal, was diesem glücklichen Menschen passiert und wenn der Säbelzahntiger vollgefressen ist, dann gehe ich raus.“ Also, immer das Schlimmste anzunehmen, war vielleicht irgendwann mal eine gute Überlebensstrategie. Also, wenn ihr euch irgendwann mal entdeckt, ich weiß nicht, ob irgendjemand von euch dazu neigt, wie ihr irgendwo mal negative Dinge erwartet und feststellt, ihr habt dort eine negativere Zukunftserwartung als objektiv gerechtfertigt wäre, dann wisst ihr, das war mal früher eine geeignete Überlebensstrategie. Die Deutschen sind da ja ganz besondere Genies drin. Bei der Wirtschaftskrise, was haben alle erwartet? Es geht alles kaputt. Die ganze Wirtschaft bricht zusammen. 1929 kommt wieder. Und wer weiß, alles geht kaputt. Oder es gibt ein bisschen Erwärmung und dann Klimakatastrophe. Nach dem Mayakalender geht 2012 ein Zyklus zu Ende, was passiert logischerweise? Die Welt geht unter, ganz klar in drei Jahren. Wir brauchen also nur noch drei Jahre zu denken. Das ist übrigens dann schon lange. Irgendwann für das Jahrtausend gab es Endzeitprophezeiungen. Die Italiener, Franzosen und Spanier haben sich da nicht so sehr darum gekümmert, aber die deutsche Kirche ist reich geworden, die katholische. Alle Möglichen haben große Schenkungen an die Klöster gemacht, in der Hoffnung, sich so freizukaufen für die Sünden. Oder wisst ihr, welche Nation die meisten Ablässe gekauft hat? Das waren die Deutschen. Ein Italiener wäre nie auf die Idee gekommen. Die Deutschen haben alle angenommen, sie kommen alle in die Hölle und ihre Vorfahren sowieso, also muss man die freikaufen. Die Italiener haben das anders gesehen, „Wir sind hier öfters in den Gottesdienst gegangen und haben zu Jesus gebetet, er wird uns schon in den Himmel bringen.“ Nur die Deutschen haben alle panische Angst gehabt, dass sie jederzeit in die Hölle kommen könnten. Eine Fähigkeit unseres Intellektes ist, die Zukunft in negativen Tönen auszumalen und das Schlimmste immer zu erwarten. Positiv ausgedrückt hilft es einem ja auch, irgendwie aktiv zu werden, wenn man das auf geschickte Weisen macht. Aber manchmal wird man dann in dem, was man aktiv macht, reagiert man über und schafft dann überhaupt die Probleme. So hat der Mensch diese Fähigkeit, er kann sie nutzen zum Überleben, er kann sie nutzen, um sich Sorgen und unglücklich zu machen, er kann sie aber auch nutzen, um zu fragen, „Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich?“ Und es heißt, unter den verkörperten Wesen kann nur der Mensch die Selbstverwirklichung erreichen. Deshalb ist, in einem menschlichen Körper zu sein, etwas Großartiges. Das klingt jetzt erstmal komisch, denn was haben wir gemacht, um in diesen Körper zu kommen? Vom heutigen Standpunkt aus erstmal nichts. Es ist wie ein Geschenk gekommen. Nur, die alten Inder haben ja noch eine andere Theorie. Es fing nicht in diesem Leben an, sondern so viele Leben schon und wir sind durch 8.400.000 Tierinkarnationen durchgegangen, bevor wir erstmals zum Mensch werden. Es heißt, durch jede Tierart, die es gab, sind wir schon mal durchgegangen. Das muss man nicht unbedingt wörtlich nehmen. Ich finde es nur interessant, dass die heutigen Biologen so annehmen, es gibt zwischen 5.000.000 und 20.000.000 Tierarten und die Inder sind von 8.400.000 ausgegangen. Aristoteles hat übrigens nur von ein paar Hundert gesprochen, zur Zeit, als die Inder von 8.400.000 gesprochen haben. Also schon durchaus eine Weite, die in der Kategorie gar nicht mal so falsch zu liegen scheint. Und dann, das schockiert westliche Menschen auch, aber im indischen Verständnis ist es auch möglich, dass wir im nächsten Leben nicht als Mensch geboren werden. Wir können im nächsten Leben auch als Tier geboren werden. Die meisten Westler hören das nicht gerne, weil für einen Westler ist der Unterschied zwischen Mensch und Tier kulturhistorisch ein riesengroßer. Z.B. für die Kirche – nach offizieller Theologie – haben Tiere keine Seele. Übrigens im 16. Jahrhundert hatten auch Schwarze und Indianer keine Seele, deshalb konnte man die ja auch so versklaven und misshandeln und das waren zum Teil sehr fromme Menschen, die haben überhaupt keine Hemmungen dort gehabt, denn die hatten keine Seele. Irgendwann haben sie gedacht, wenn man sie bekehrt, vielleicht kriegen sie dann mit der Taufe eine Seele. Gut, aber inzwischen, irgendwann sind auch die Christen dazu gekommen, dass sie sich auf ihr Evangelium besonnen haben und dass es für Jesus keinen Unterschied machte, welche Nation jemand war. Und gerade einige der Gleichnisse mit Samaritern und Zöllnern zeigt ja eben, dass er gesagt hat, er ging jenseits dieser Grenzen. Aber historisch, dann blieb es immer noch lange Zeit und ich glaube sogar bis heute, Tiere haben keine Seele. Deshalb kann man auch, ohne irgendeinen Gewissensbissen, Tierversuche machen und Fleisch essen, also Tiere umbringen, damit man essen kann, obgleich es nicht notwendig ist, in unseren Breiten könnte man genauso gut vegetarisch leben. Und dann auch Descartes. Descartes hat gesagt, ein Tier empfindet noch nicht mal Schmerzen. Wenn ein Hund jault, dann ist das nur wie das Kreischen von einem Uhrwerk. Tier hat kein Bewusstsein. Also von beiden Seiten her denken wir, Mensch ist was grundlegend anderes. Das wiederum haben die Inder nicht gesagt. Der Unterschied zwischen Mensch und Tier ist, dass der Mensch eine stärker entwickelte Buddhi und Ahamkara hat und die Übergänge sind fließend, deshalb ist es auch denkbar, dass man sich auch mal ins Tierreich wieder zurück inkarnieren kann. Und mindestens die Konsequenz daraus könnte sein, dass man liebevoller mit den Tieren umgeht. Und die moderne Evolutionsbiologie unterstützt diesen Standpunkt, dass es keinen so grundlegenden Unterschied gibt. Die intelligentesten Affen und sogar die intelligentesten Hunde sind intelligenter als die dümmsten Menschen. Die können sogar ein Selbstbewusstsein haben. Es gibt Gorillas und Schimpansen, die die Blindensprache können und die haben sogar Humor, die können sogar Witze machen, die können sich über etwas amüsieren, die können über etwas schimpfen, die können freundlich sein, die können auch betrügen, die können lügen, die können Allianzen erzeugen usw. Also, die Unterschiede sind eher graduell und nicht grundsätzlich. Trotzdem ist es etwas Wertvolles, im Menschen geboren zu werden, der kann nämlich dann nach der Verwirklichung streben. Ob vielleicht manche Delphine, Gorillas und Schimpansen das auch können, weiß ich nicht. Im alten Indien gab es keine Schimpansen, Gorillas und auch keine Delphine, die sind in anderen Teilen der Welt. Aber noch wichtiger als menschliche Geburt, hat Swami Vishnu-devananda gehalten, auch menschenwürdige Geburt. Und menschenwürdig heißt, wir haben was zu essen, wir haben was zu trinken, wir haben ein Dach über dem Kopf und wir müssen nicht mit einer großen Wahrscheinlichkeit befürchten, dass morgen eine Bombe auf unser Haus fällt oder dass alles kaputtgeht oder dass wir in einem halben Jahr nichts mehr zu essen haben. Ich weiß, Menschen befürchten das auch in unseren Breiten und es kann ja auch passieren, dass heute noch ein Flugzeug hier in die Sivananda-Halle hineinfällt und wir alle tot sind. Auch Erdbeben sind denkbar. Vor gar nicht mal so vielen Jahrtausenden gab es ja in der Eifel Vulkanausbrüche und dann, wenn dort die Vulkane ausgebrochen sind, dann ist der Ascheregen hier runter gegangen. Also, könnte auch morgen passieren, ist aber unwahrscheinlich. Nicht alle Menschen auf dieser Welt haben ein menschenwürdiges Dasein. Es gibt sogar viele hundert Millionen Menschen, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder satt kriegen sollen heute und morgen. Wir wissen, es gibt viele Regionen, wo Menschen nicht wissen, ob heute Abend marodierende Banden kommen und alle im Dort umbringen werden. Das ist kein menschenwürdiges Dasein. Und es ist etwas sehr Wertvolles, dass wir das haben. Umso wichtiger natürlich, dass man auch Mitgefühl hat gegenüber denen, die es nicht haben und dass man, wenn man irgendwo Geld hat, etwas dafür gibt, dass andere vielleicht auch irgendwo ein menschenwürdiges Dasein haben und es gibt manche, die dann ja ihre Lebensmission darin finden, dort Unterstützungen zu geben. Ein anderer Aspekt ist aber auch, wenn wir jetzt schon dieses menschenwürdige Dasein haben, dann sollten wir es auch wirklich zum Guten benutzen. Swami Vishnu-devananda hat so gesagt, auf dem spirituellen Weg ist es wichtig, geduldig zu sein, aber noch wichtiger ist es, ungeduldig zu sein. Zum einen, Fortschritt geschieht nicht von heute auf morgen und wir werden auch nicht von heute auf morgen die Selbstverwirklichung erreichen. Und ich nehme an, dessen sind die meisten von euch sich sehr bewusst. Wer von euch ist schon länger als fünf Jahre auf dem spirituellen Weg? In einem solchen Seminar sind doch viele, die schon länger dabei sind. Man kann ja so verschiedene Stadien der spirituellen Entwicklung sehen. Am Anfang ist für viele erstmal Widerstände und Überlegungen und Zweifel und dann irgendwann gibt es das, was man als spirituelle Flitterwochen bezeichnet. Man hat jetzt den Sinn des Lebens gefunden und ist so begeistert und spürt diese Wonne und diese Freude und die Verbundenheit und denkt, „Ja, jetzt muss es nur noch so ein bisschen weitergehen, dann sind alle Probleme verschwunden.“ und dann rutscht man vielleicht irgendwann in ein Loch und irgendwann stellt man fest, manchmal sogar ohne die spirituellen Flitterwochen, es schien nur irgendwo verlockend, dort hin zu gehen, dann stellt man fest, so schnell klappt es nicht und dann irgendwann werden dann viele Menschen träge und sagen, „Ja, Verwirklichung ist ja ganz nett, aber ich sorge dafür, dass ich einigermaßen gesund lebe, einigermaßen freundlich mit mir und meinen Mitmenschen umgehe und lerne, ein bisschen gut Yoga zu unterrichten. Aber Verwirklichung und Einheit, vielleicht in zehn Leben oder so.“ Also, es gibt viele Menschen, die so in ihrem spirituellen Streben nachlassen. Und dann natürlich sich neue Interessen finden. Dann muss doch ein neues Haus her, dann lernt man eine neue Heiltechnik, die man kennen lernen will oder man ist plötzlich fasziniert, mit allen Problemen seiner Kindheit und sich damit beschäftigen. Oder man findet noch verschiedenste andere Beschäftigungen und die haben ja auch alle ihren Sinn und die mögen alle gut sein, nur die wichtigste Beschäftigung versinkt dann oft. Und die wichtigste Beschäftigung ist Gott, Streben nach dem Höchsten, Streben nach der Verwirklichung.
Als nächstes dort kommt Mumukshutva. Und Swami Vishnu-devananda war jetzt keiner, der uns Angst gemacht hat. Im Gegenteil, er hat mehr probiert, uns mit positiven Dingen dort zu inspirieren. Aber er hat auch gesagt im engeren Kreis, „Ihr habt keine Garantie, dass ihr im nächsten Leben wieder Manushyatam habt.“ Wir denken alle, im nächsten Leben würden wir wieder in der westlichen Zivilisation inkarnieren und irgendwo wird die Erde o.k. sein. Wissen wir nicht. Wir können genauso gut in einem Kriegsgebiet inkarnieren. Wir können genauso gut in einer Zeit der Klimakatastrophe inkarnieren. Und wir brauchen auch gar nicht so lange warten. Auch wenn ich jetzt mir selbst regelmäßig widerspreche, kann auch in zehn Jahren tatsächlich die Klimakatastrophe sein. Es kann auch im einzelnen Menschen sein, dass er morgen Krebsdiagnose bekommt. Zwar senkt die Praxis von Yoga und vegetarischem Leben tatsächlich die Wahrscheinlichkeit für viele Krankheiten, aber wie ich sage, es senkt die Wahrscheinlichkeit. Das heißt, gerade vor ein paar Wochen habe ich von drei oder vier Frauen, die Yogalehrerinnen sind, gehört, die Brustkrebs diagnostiziert bekommen haben. Oder auch letzte oder vorletzte Woche was jemand, die sogar in einem Zentrum unterrichtet hat und die ist an Krebs gestorben. Also, das Leben kann schnell zu Ende sein. Oder ein Unfall und dann querschnittsgelähmt oder auch bewusstseinsgetrübt, all das ist möglich. Daher, solange wir Manushyatam haben, dann sollten wir…

17. Teil der Niederschrift von Vorträgen im Rahmen eines Yogalehrer Ausbildungs-Seminars mit Sukadev Bretz bei Yoga Vidya Bad Meinberg. Thema dieses 9-tägigen Vedanta-Seminars war „Viveka Chudamani von Sankaracharya“. Erklärungen für die Sanskrit Ausdrücke findest du im Yoga Sanskrit Glossar. Dieser Blog ist nicht geeignet für Yoga Anfänger. Er ist vielmehr gedacht für Menschen, die sich in Yoga Philosophie auskennen und regelmäßig Meditation praktizieren, sich als spirituelle Aspiranten verstehen. Yoga Anfängern wird das Yoga Anfänger-Portal empfohlen.

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