Die Welt ist unwirklich – Adhyaropa im Vedanta

Das klassische Beispiel, das ich noch mal erwähnen will für die Unwirklichkeit der Welt, ist welches? Schlange und Seil. Also angenommen, wir treten über ein Seil und denken, es ist eine Schlange, dann haben wir Angst. Ist das Seil jemals zur Schlange geworden? Nein. Ist aber für denjenigen, der die Schlange gesehen hat, war die Schlange für ihn wirklich? Ja. Dennoch ist das Seil niemals zur Schlange geworden und die Schlange nicht zum Seil. Da gibt es einen bekannten Ausdruck dafür, das nennt sich Adhyaropa, super imposition, wird es auf Englisch übersetzt. In deutscher Terminologie wird es manchmal als Projektion bezeichnet oder auch als Darüberstülpung, man stülpt eine Bedeutung über etwas, was es nicht hat. Oder die zweite Analogie ist Stein und Hund. Angenommen, ein Mensch geht spät abends… Das Beispiel gibt es in verschiedener Form. Angenommen, es gibt einen Landstreicher. Der geht so an der Mauer von einem großen Anwesen vorbei und er sieht dort wunderschöne Mangobäume. Und da sind reife Mangos und sie duften. Dann denkt er, „Ach, da könnte ich mir doch ein paar nehmen.“ Und gerade als er dabei ist, sich über die Mauer drüber zu schwingen, dort sieht er einen Hund. Einen großen Hund, zähnefletschend, eine Pfoten gehoben und sofort springt er wieder runter. Dann geht er ein bisschen weiter und ein bisschen weiter ist keine Mauer, sondern ein Gitter und da sieht er immer noch diesen Hund. Zähnefletschend, schreckerregend, Pfote oben, bereit zu springen. Dachte er, „Das ist jetzt aber komisch, der sitzt da jetzt schon eine ganze Weile.“ Er schaut noch ein bisschen näher und dann stellt er fest, das ist kein Hund, sondern eine Statue. Und als er das sieht, dass da eine Statue ist, dann verliert er alle Angst, er klettert drüber und genießt diese wunderbare Mango. Ähnliche Analogie in diesem Leben. Wir haben vor allem Möglichen Ängste, weil wir alles Mögliche auf diese Welt drauf projizieren. Wenn wir aber erkennen, dass diese ganze Welt Brahman ist, dann brauchen wir keine Ängste zu haben. Eine nächste Analogie ist eine modernere Analogie, die aber von diversen Jnana-Yogameistern verwendet wird. Es ist die Analogie vom Kinofilm. Angenommen, wir gehen in einen Kinofilm. Und dann setzen wir uns hin und dann sehen wir ein ganzes Drama ablaufen. Was ist in dem ganzen Kinofilm wahr geblieben? Was bleibt da die ganze Zeit? Die Leinwand bleibt. Alles andere ist nicht real. Tut sich irgendwas auf der Leinwand? Gibt es dort irgendeinen großen Helden, der dort kämpft mit den bösen Verbrechern, der den Mörder findet? Nichts davon. Es bleibt immer Leinwand. Aber wenn Menschen in diesen Film reinkommen, dann weinen sie, sie lachen, sie erschrecken, sie freuen sich und – mindestens wenn es ein Hollywood-Film ist – gibt es irgendwie zum Schluss ein Happy End und alle gehen dann freudig beschwingt aus dem Kino. Aber was ist die ganze Zeit auf der Leinwand passiert? Nichts. So ähnlich, die Leinwand ist wie Brahman, auch das Licht ist wie Brahman. Maya ist dann wie dieser Film. Maya scheint dieses Licht teilweise wegzunehmen und dann manifestieren sich all diese Formen. Und letztlich der Filmdirektor, der das Ganze entwickelt hat, ist wie Ishwara und wir, die wir dort gefangen sind in diesem Film und dazu geht man ja in den Film, dass man alles andere vergisst und nach Möglichkeit sich auch identifiziert, wir werden kleine Jiva. Typischerweise identifiziert man sich mit einer Person in dem Film. Mit wem typischerweise? Mit der Hauptperson. Und zwar letztlich egal, ob die Hauptperson wirklich ein Held ist oder ein Verbrecher. Manche von euch haben sich vielleicht beschäftigt mit der Theatertheorie von Berthold Brecht. Er wollte das ja gerade umgekehrt machen. Er wollte vermeiden, dass die Zuschauer sich mit einem Menschen identifizieren und den toll finden. Wenn ihr „Mutter Courage“ z.B. gesehen habt. Er hat alle möglichen Elemente eingebaut, denn eigentlich „Mutter Courage“ ist ja mehr gedacht, so soll man nicht sich verhalten wie Mutter Courage. Das ist genauso, wie ein Mensch sich nicht verhalten soll. Das wollte er sehr genau damit zeigen. Aber was macht man als Zuschauer, wenn man Mutter Courage anschaut? Man fühlt mit dieser Frau, man versteht sie und irgendwo bangt man mit ihr. Letztlich, Mensch hat eine Neigung, sich zu identifizieren. Wenn wir in ein Schauspiel gehen, mit irgendjemand müssen wir uns identifizieren, ansonsten würde es langweilig. Und genauso, wir sind jetzt in diesem Schauspiel der Welt, muss man sich halt mit irgendjemandem identifizieren, am nahe liegendsten ist, mit diesem Körper und diesem Geist. Man könnte sich auch mit einem anderen Körper und einem anderen Geist identifizieren. Machen wir auch, wir machen es nämlich, indem der nebenan ist, aber gleichzeitig mit dem. Die beste Analogie ist meiner Ansicht nach allerdings immer noch Traum. Wir sind in einem Traum. Aus dieser Traumanalogie können wir auch noch mal schließen, was ist die Welt wirklich? In einem Traum, gibt es dort – jetzt vom Wachzustand aus gesehen – Materie? Hat es im Traum Materie gegeben? Nein. Hat es dort Bausteine gegeben? Ziegelsteine oder Beton, aus den die Gebäude bestehen? Nein. Haarfärbemittel? Auch nicht. Woraus besteht all das? Letztlich besteht alles aus der Einbildung des Träumenden. Das einzige, was wirklich ist und aus dem ist alles gemacht, das ist die Einbildung des Träumenden. Und letztlich kann man sagen und wie lange existiert der Traum und die Traumwelt? Solange sich da jemand des Traumes bewusst ist. In dem Moment, wo man sich des Traumes nicht mehr bewusst wird, was passiert mit all der Materie des Traumes, mit all den Millionen von Bäumen und Planeten und Sternen? Mit einem Schlag alle weg. Man kann sich natürlich noch fragen, was passiert dort tatsächlich? Vielleicht leben die weiter. Ist auch so die Frage, angenommen, ihr habt irgendwo ein Computerspiel gespielt und ihr schaltet den Computer ab. Was passiert mit den anderen Figuren? Angenommen, es gibt ja diese virtuelle Realität namens Sekond Life. Angenommen, die Firma, die das betreibt, eines Tages stellt sie alles ab. Was passiert mit diesen Zigmillionen von Avataren, wie sie heißen, also künstlich geschaffenen Individuen. Was passiert mit denen? Mit einem Schlag alle weg. Also, im Traum ist eigentlich nur das Bewusstsein da. Und so können wir als Analogie hier

auch nehmen, diese Welt, die ganze Materie der Welt besteht aus was? Aus Bewusstsein. Man kann auch sagen, sie besteht aus der Vorstellungskraft von Brahman. Und so wird manchmal auch gesagt, aus Brahman entsteht Brahma, der Schöpfer und der Schöpfer träumt dieses Universum und wir sind Traumgestalten des Schöpfers. Und hier würde man eben auch sagen, nicht wir als Individuum träumen die Welt, sondern Brahma, der Schöpfer träumt die Welt. Aber jetzt müssen wir wieder aufpassen. Wer ist Brahma und wer sind wir? Ein und derselbe. Wenn Brahma uns träumt, dann gibt es jetzt nicht mehrere Bewusstseine. Da gibt es nicht zum einen Brahma, der träumt, und wir sind Traumgestalten von Brahma und da gibt es Brahma und da gibt es uns und dann träumt Brahma und wir sind auch da. Nein, unser Bewusstsein ist Teil dann vom Bewusstsein Brahmans. Und da ein Bewusstsein nicht Teil eines anderen Bewusstseins sein kann – man kann ja nicht sagen, wie viel Prozent – ist unser Bewusstsein das Bewusstsein von Brahman und die ganze Welt besteht letztlich aus Bewusstsein.

Teil 107 der Niederschrift eines Vortrags im Rahmen eines Yogalehrer Ausbildungs-Seminars mit Sukadev Bretz bei Yoga Vidya Bad Meinberg. Thema dieses 9-tägigen Vedanta-Seminars war „Viveka Chudamani von Sankaracharya“. Erklärungen für die Sanskrit Ausdrücke findest du im Yoga Sanskrit Glossar. Dieser Blog ist nicht geeignet für Yoga Anfänger. Er ist vielmehr gedacht für Menschen, die sich in Yoga Philosophie auskennen und regelmäßig Meditation praktizieren, sich als spirituelle Aspiranten verstehen. Yoga Anfängern wird das Yoga Anfänger-Portal empfohlen. <

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