Archiv für den Monat: März 2012

Nitya Anitya Viveka – Die Unterscheidung zwischen dem Ewigen und dem Vergänglichen

Alles vergänglich. Daher Unterscheidung zwischen dem Ewigen und dem Vergänglichen. Etwas bleibt gleich und das ist das Bewusstsein. Das bleibt in einem selbst gleich, das bleibt in den Kindern gleich, das bleibt in dem Partner gleich, selbst in dem, von dem man sich getrennt hat, es bleibt hinter allem gleich. Man soll nicht daran hängen, das ist Viveka. Und wenn man das weiß, kann man die Welt leichter annehmen. Man kann sie mit Lächeln annehmen. Sogar sein eigenes Leid kann man irgendwo annehmen. Mensch ist ja etwas sehr Komplexes. Man kann zum einen leiden. Eine Teilnehmerin hat mir irgendwo einen Zettel geschrieben, dass es ihr irgendwo nicht so gut geht – ich weiß jetzt nicht, wer es ist – und wenn jemand eine persönliche Frage hat, ist eigentlich am besten, ihr sprecht mich irgendwie nach dem Vortrag an oder man kann so sprechen, ihr könnt mir auch gerne einen Brief schreiben, aber ich kenne weder eure Namen noch eure Gesichter und ich kann jetzt auch nicht jeden einzelnen ansprechen. Aber man kann leiden und trotzdem Vedantin sein. Das ist paradox. Man kann auf der einen Seite in den Emotionen sein, man kann weinen, aber tief im Hintergrund kann man wissen, auch diese Emotion geht vorbei. Man wird nicht ewig weinen. Irgendwann wird auch das vorbeigehen und manchmal geht das sehr schnell vorbei und manchmal dauert es ein bisschen länger. Das Ewige und das Vergängliche. Und übrigens, auch angenommen, ihr befindet euch gerade in einem euphorischen Gemütszustand, was gilt auch dort? Verhaftet euch nicht daran, auch der geht vorbei. Mag man auch nicht gerne. Jetzt hofft man, „Ja, jetzt habe ich es. Satchidananda Swarupoham, meine wahre Natur, Sein, Wissen und Glückseligkeit und jetzt bin ich zu neunzig Prozent Glückseligkeit, noch zehn Prozent mehr, dann bin ich dauerhaft glücklich.“ Aber wir müssen aufpassen. Samadhi und Befreiung heißt nicht Dauereuphorie. Zwar ist es schon so, dass die großen Meister mehrheitlich Freude ausstrahlen. Swami Sivananda sieht nicht nur auf den Bildern so aus, sondern es haben mir viele erzählt. Verschiedene Menschen haben Verschiedenes über Swami Sivananda erzählt, was sie besonders an ihm fanden, alle haben gesagt, eines haben sie immer gesehen, er war jemand, der Glück ausgestrahlt hat und Freude. Aber er hatte auch körperliche Schmerzen gehabt. Und auch in einem Buch beschreibt der Swami Venkatesananda, einer der langjährigsten Schüler von Swami Sivananda war von einem tollwütigen Hund gebissen worden und hatte die Tollwut bekommen und wurde dann ins Krankenhaus gebracht. Und erst schien es so, als ob der wieder gesund würde. Dann hat Swami Sivananda noch glücklicher ausgesehen als sonst. Und dann kam jemand und ist rein mit einem traurigen Gesicht und Swami Sivananda hat ihn angeschaut und hat gesagt, „Er ist tot?“ und dann hat der andere nur genickt. Und Swami Sivananda sah offensichtlich schockiert aus und irgendwo sehr traurig auch. Also, er war auch dieser Emotionen fähig, aber die ging dann bei ihm schneller vorbei. Am Abend wurde dann der Körper vorbeigebracht und dann wurde noch das Mantra gesungen und die Totenzeremonie, wie es für einen Swami angemessen war, wurde gemacht. Und am nächsten Tag war Swami Sivananda wieder his usual self, also wieder normal aus diesem Glücksgefühl heraus. Bis wir diese höchste Erkenntnis haben, das höchste Jnana, bis dahin gehen wir über Höhen und Tiefen, auf himmelhoch jauchzend folgt manchmal zu Tode betrübt und letztlich, mindestens bis zu Nirvikalpa Samadhi behalten auch Menschen ihr Temperament bei. Das ist auch etwas, was wichtig ist. Manchmal rede ich mir da den Mund fusselig, ich erzähle in diesem Sommer immer wieder das Gleiche, weil, Menschen haben unrealistische Erwartungen ans Yoga. Also angenommen, ihr habt eine Neigung zu himmelhoch jauchzen, zu Tode betrübt und ihr denkt, Yoga würde euch zu einen dauerhaft gleichmäßig glücklichen Menschen machen, werde ich euch enttäuschen müssen. Das wird nicht funktionieren. Da braucht ihr nicht hinauszurennen. Vielleicht wird es euch gelingen, dass ihr diese Natur besser annehmen könnt. Vielleicht werdet ihr dann, wenn ihr gerade in diesem „zu Tode betrübt – Zustand“ seid, wissen, „Das geht vorbei, ist halt Temperament von mir. Und die Gedanken, die ich jetzt gerade habe, von Weltenschmerz“ und bei manchen sogar bis Selbstmordgedanken und –wunsch oder mindestens möglichst schnell sterben zu wollen oder vor allen wegzurennen oder sich in einem Mauseloch zu verkriechen oder was auch immer die Phantasie dabei ist oder diese Phantasien, dass alles schlimm ist und alles… Ihr wisst, in einem anderen Teil des Geistes wisst ihr, „Mein Temperament ist gerade in dieser Weise manifestiert, wird vorbeigehen.“ Und dann kann man diesen Zustand von Weltenschmerz bewusst empfinden, man kann dennoch sich leicht davon lösen. Vielleicht kann man auch lernen, in diesem Zustand anders zu praktizieren, sodass man nicht ganz so tief fällt, denn oft fällt man deshalb besonders tief, weil man vorher himmelhoch jauchzend war und hat gedacht, „Das dauert jetzt ewig.“ Und dann, „Ach, Yoga bringt doch gar nichts. Alles umsonst. Alles schlecht. Jetzt habe ich Yoga geübt und es hat überhaupt nichts gebracht.“ Und dann diese Sinnfrage. Das ist das, was es dann besonders schlimm macht. Wegen einer unrealistischen Erwartung. Stattdessen weiß man, „Ah, Gemütszustand ist vergänglich. Ich habe Höhen und ich habe Tiefen. Ich kann auf die Tiefen vielleicht ein bisschen anders eingehen, dass sie nicht ganz so tief ist, aber ich habe auch nur eine beschränkte Fähigkeit, auf meinen Gemütszustand einzuwirken.“ Und so nimmt man das an und weil man es annimmt, wird es wieder nicht ganz so schlimm. Man kann auch noch vieles andere machen, aber ich halte es für besonders wichtig, man nimmt sein Temperament an. Und dann gibt es solche, die sind insgesamt melancholisch, ein melancholischer Gemütszustand. Und das heißt, dann hören sie, wie andere erzählen, wie toll sie beim Mantrasingen in höhere Gemütszustände kommen und welche Erfahrungen Menschen in den Asanas und Pranayamas haben und wie tolle Naturerlebnisse sie haben und sagen, „Und ich?“ und dann hat man vielleicht die ein oder andere kleine schöne Erfahrung, aber es ist nicht so, wie andere das so erzählen, euphorisch. Es gibt manche Menschen, die unglaublich euphorische Erfahrungen machen, wenn sie hier im Ashram sind und die Zeit danach. Und dann gibt es solche, die mehr gleichmütig sind usw. Dann könnt ihr euch noch weiter überlegen, wie euer Temperament ist. Man kann es definieren in diesem alten Griechischen. Da gibt es sanguinisch, melancholisch, cholerisch, phlegmatisch. Man kann es mit Vata, Pitta und Kapha definieren. Man kann es nach dem DISG-Modell definieren. Da gibt es die Dominanten und die Innovativen und die Sozialen und die Gewissenhaften. Oder es gibt diese Big Five, von denen habt ihr vielleicht auch gehört. Extrovertiert, introvertiert ist das eine und das zweite ist auch gewissenhaft oder nicht gewissenhaft. Das nächste ist verträglich, unverträglich, Offenheit oder nicht Offenheit. Und auch das ist bis zu einem gewissen Grade angeboren. Ein bisschen was kann man ändern. Und vermutlich, mit viel Anstrengung, kann man mehr verändern. Und über zehn Leben können wir sehr viel verändern. Aber ihr braucht nicht warten. Ihr müsst euren Gemütszustand nicht verändern, um die Selbstverwirklichung zu erreichen. Und das ist wiederum die gute Nachricht. Ihr könnt bis zu einem gewissen Grade Einwirkung haben und deshalb macht man ja Asanas und Pranayama und Meditation und mit mehr Prana ist vieles mehr erträglich, vor allem sein eigener Gemütszustand und auch die Gemütszustände der anderen um einen herum, aber all das ist dennoch in der Veränderung begriffen. Und das Beste wäre zu sehen, die Unterscheidung zwischen dem Vergänglichen und dem Ewigen. Und damit hängt dann eng zusammen, die Unterscheidung zwischen dem Selbst und dem Nicht-Selbst. „Ich bin nicht dieser Körper. Ich tue eine Menge für diesen Körper, aber ich bin nicht dieser Körper.“ und was wir im Yoga machen, ist ja eine ganze Menge. Asanas, Pranayama, gute Ernährung. Wir schleppen ihn manchmal an die frische Luft und setzen ihn auf ein Fahrrad und bewegen die Beine, man schläft gesund und probiert alle möglichen gesunden Tees und Kräuter und dieses und jenes, all das machen wir für dieses Ding dort hier. Was aber mehr ist als ein Ding, es ist ein Organismus und es ist gut, sich darum zu kümmern, nur, „Ich bin nicht der Körper.“ Körper ist in Veränderung begriffen. Wir haben eine gewisse Aufgabe und Verantwortung für diesen Körper. Ähnlich wie, ich habe auch ein Fahrrad und ich kümmere mich auch ums Fahrrad. Vor kurzem habe ich erfahren, man muss die Reifen auf mindestens 3,5 Bar oder so ähnlich aufpumpen und ein Grund, weshalb die Mäntel meiner Fahrräder alle ein bis zwei Jahre ausgetauscht werden mussten, war, ich habe die nicht ausreichend aufgepumpt. Jetzt einmal alle zwei Wochen fahre ich zur Tankstelle und sorge dafür, dass dort mindestens 3,5 Bar oder so ähnlich ist und hoffe, dass dann nicht so häufig die Mäntel platzen bei den Reifen. Ich fahre viel Fahrrad. Und so kümmert man sich um alles Mögliche. Und einmal im Jahr, entweder muss man das Fahrrad generalüberholen lassen oder ich bringe es dann zu irgendeinem Laden und der schmiert dann alles und reinigt alles und tauscht alles Mögliche aus. Und dann kann man mit dem Fahrrad länger umgehen. So ähnlich hat man einen Pranakörper und um den muss man sich auch kümmern und dafür sorgen, dass man mehr Prana hat. Mehr Prana hilft dann auch, dass die Emotionen anders sind und dass der Geist klarer ist und dann funktioniert das auch mit der Viveka ein bisschen einfacher. „Aber all das bin ich nicht.“ Es ist vergänglich und da müssen wir auch immer aufpassen und deshalb werfen manchmal reine Vedantins den ganzheitlichen Yogis etwas vor, nämlich, dass sie sich zu sehr an die Mittel klammern und zu sehr mit ihren Upadhis beschäftigt sind und weniger sich um ihr höchstes Selbst kümmern. Also, ich bin einer, der den ganzheitlichen Yoga propagiert, aber ich sehe manchmal auch die Schwierigkeiten.

 

70. Teil der Niederschrift von Vorträgen und Workshops aus einem Yogalehrer Ausbildungs-Seminar mit Sukadev Bretz bei Yoga Vidya Bad Meinberg. Thema dieses besonderen 9-tägigen Vedanta-Seminars aus dem Jahr 2008 war „Viveka Chudamani, das Kleinod der Unterscheidung, von Sankaracharya“. Erklärungen für die Sanskrit Ausdrücke findest du im Yoga Sanskrit Glossar. Dieser Blog ist nicht geeignet für Yoga Anfänger. Er ist vielmehr gedacht für Menschen, die sich in Yoga Philosophie, insbesondere Jnana Yoga, auskennen und regelmäßig Meditation praktizieren, sich als spirituelle Aspiranten verstehen. Yoga Anfängern wird das Yoga Anfänger-Portal empfohlen. Für fortgeschrittenere Aspiranten und Kenner der Materie gibt es hier Einsichten und Weisheiten der besonderen Art.

Ist das Vergängliche wertlos – Wie hilft das Leben im Endlichen dem Leben im Unendlichen?

Das im vorigen Beitrag Gesagte heißt nicht, dass das Vergängliche deshalb wertlos ist. Auf einer relativen Ebene macht man die Erfahrungen. Oder man hat eine Beziehung gehabt und hat sich Jahre toll verstanden. Vor kurzem hatte ich so ein Beratungsgespräch gehabt. Jetzt hat er sich auseinander gelebt mit seiner Partnerin und sie hatten irgendwo zwei Kinder. Gut, der eine ist schon über zwanzig und der andere ist aber irgendwie zehn oder elf und irgendwo hat er erst gedacht, „Hat er sein ganzes Leben jetzt verschwendet?“ Er hat 25 Jahre mit dieser Frau zusammengelebt und jetzt stellt er irgendwo fest, Wege ganz anders. Letztlich über Yoga hat er einen Trost gefunden. Also, die Beziehung ist auseinander gegangen, bevor er mit Yoga begonnen hat. War alles umsonst? Hat er die falsche Frau geheiratet? Ich habe mit ihm gesprochen und er hat gesagt, er hat sie sehr wohl geliebt, es waren sehr schöne Zeiten auch dabei, es waren aber auch sehr schlimme Zeiten, aber irgendwo seit ein paar Jahren war es mehrheitlich schlimm. Als die Frau dann gegangen war, dann war es ganz extrem schlimm. Ein furchtbares Leid, furchtbare Emotionen. War alles wertlos? Also, nach meiner Meinung nach nicht. Und Patanjali würde auch sagen, nein, es ist nicht wertlos, sondern jede Erfahrung ist wertvoll, selbst Liebeskummer ist wertvoll, Leiden ist wertvoll, all das sind wertvolle menschliche Erfahrungen. Patanjali sagt ja, wir sind deshalb in dieser manifesten Welt der Dualität auch, um Erfahrungen zu machen. Wir sind da, um Erfahrungen zu machen und die Kräfte zu entfalten, die in uns und in der Natur irgendwo angelegt sind. Die Schwierigkeit ist nur, wir vergessen, wir sind dafür da, Erfahrungen zu machen und stattdessen, wir haften uns an.  Das Leben massiert uns auf allen Ebenen. Unser Geist hat eine wunderbar klebrige Natur. Und wir wünschen, dass alles so bleibt, wenn es mal schön ist. Auch im Deutschen gibt es ja dieses Lied, irgendein Bundespräsident hat das mal gesungen, „Ich wäre ja so gerne noch geblieben, aber der Wagen, der rollt.“ Mehr kenne ich jetzt auch nicht. Nicht, dass ich in Verruf hier komme. Ich kenne doch noch ein paar mehr. „Hoch auf dem gelben Wagen…“, aber wir werden das jetzt nicht weiter singen. Man kann nichts festhalten. Auch die Menschen eben verändern sich. Der Mensch, mit dem man irgendwie zusammenlebt, vor ein paar Jahren war der irgendwie anders. Mindestens hat man das irgendwo gedacht. Vielleicht war er gar nicht so anders. Tief im Inneren war er gleich. Aber man selbst ändert sich in seinen Werten, der andere ändert sich in seinen Werten und nicht immer in der gleichen Richtung. Der Versuch, den anderen so zu beeinflussen, dass er sich so verändert, wie man es gerne hätte – ich glaube, diejenigen von euch, die funktionierende Partnerschaften haben wissen, den gibt man besser auf. Auch die Kinder verändern sich, wisst ihr auch. Erst waren sie ganz klein, werden größer, irgendwie noch größer. Wo ich jetzt hier in Bad Meinberg seit sechs Jahren bin, erlebe ich das irgendwo umso mehr. Es sind nämlich ein paar Kinder, die sind hier schon seit sechs Jahren. Der Krishna (ein Sohn einer Mitarbeiterin bei Yoga Vidya Bad Meinberg) wird dieses Jahr achtzehn. Als er hierher kam, war er logischerweise zwölf. Da war er ganz anders als heute. Oder ein ehemaliger Mitarbeiter aus dem Kölner Zentrum war heute da mit seiner Tochter. Ich kannte sie noch, als sie ganz klein war. Sie kam regelmäßig her, aber jetzt war sie eben eine Weile nicht mehr da und in der Zwischenzeit ist sie riesengroß geworden. Riesengroß ist übertrieben, aber sie ist nicht mehr Kleinkind, sondern sie ist Kind und irgendwie habe ich sie so als Minikind noch gesehen. Aber sie hat mich wieder erkannt. Da war ich ganz stolz drauf. Also, Menschen ändern sich, gehen andere Wege und das ist manchmal für die Eltern am allerschwierigsten. Man würde ja gerne den Kindern alle schwierigen Erfahrungen ersparen, oder? Und dann stellt man fest, Kind macht alle Fehler, die man entweder selbst nicht gemacht hat oder die man selbst gemacht hat oder alle Fehler, vor denen man die Kinder beschützen wollte, vielleicht nicht alle, wenn man genauer nachdenkt, aber mindestens einige.

69. Teil der Niederschrift von Vorträgen und Workshops aus einem Yogalehrer Ausbildungs-Seminar mit Sukadev Bretz bei Yoga Vidya Bad Meinberg. Thema dieses besonderen 9-tägigen Vedanta-Seminars aus dem Jahr 2008 war „Viveka Chudamani, das Kleinod der Unterscheidung, von Sankaracharya“. Erklärungen für die Sanskrit Ausdrücke findest du im Yoga Sanskrit Glossar. Dieser Blog ist nicht geeignet für Yoga Anfänger. Er ist vielmehr gedacht für Menschen, die sich in Yoga Philosophie, insbesondere Jnana Yoga, auskennen und regelmäßig Meditation praktizieren, sich als spirituelle Aspiranten verstehen. Yoga Anfängern wird das Yoga Anfänger-Portal empfohlen. Für fortgeschrittenere Aspiranten und Kenner der Materie gibt es hier Einsichten und Weisheiten der besonderen Art.

Viveka, die Unterscheidungskraft, als wichtige Voraussetzung und Mittel im Jnana Yoga

Im 20. Vers des Viveka Chudamani, beschreibt Sankara Viveka, die Unterscheidungskraft.
Brahman, die absolute Wahrheit ist wahr, die Welt ist ein Trugbild, lautet das Urteil. Das wird als Unterscheidung, Viveka, zwischen Vergänglichem und Unvergänglichem verkündet.“
Also, es gibt verschiedene Formen von Viveka und diese kann man immer wieder anwenden und eigentlich das ganze Werk ist letztlich Viveka-Chudamani, die Entwicklung dieser Unterscheidungskraft. Hier erwähnt er zunächst mal die Unterscheidung zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen. Und darüber hatten wir schon mal heute Morgen einiges gesprochen. Wenn man eine Schlange in einem Seil sieht, dann ist das Trug. Die Schlange war unwirklich, das Seil war wirklich. Erinnert ihr euch noch dumpf an heute Morgen? Die Frage ist dann, ist das Seil jemals zur Schlange geworden? Nein, das Seil war immer Seil gewesen. Dennoch, war die Schlange für einen wirklich gewesen? Antwort, ja. Sie hat sogar den Herzschlag beeinflusst, die Hautfarbe beeinflusst, den Gemütszustand beeinflusst. Also auch etwas Unwirkliches kann eine sehr starke Wirkung auf einen haben. Und ich glaube, ihr kennt auch noch andere Beispiele, wo ihr euch in irgendwas getäuscht habt und dass das eine sehr starke Wirkung auch euch hatte. Also, die Schlange war niemals, es gab immer nur das Seil. Und das öfters mal sich zu vergegenwärtigen, „So wie ich die Welt wahrnehme, so ist sie nicht wirklich.“ Wir können weiter schauspielerisch tätig sein in der Welt, es gibt weiter Lila, es gibt weiter Karma, es gibt weiter Lektionen zu lernen, man wird weiter Liebeskummer haben, man wird weiter sich freuen über all das, aber man weiß im Hintergrund, das ist nicht wirklich, das ist Lila. Also Unterscheidung zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen. Die zweite Unterscheidung ist vielleicht etwas leichter, nämlich die Unterscheidung zwischen dem Ewigen und dem Vergänglichen. Mindestens ist es erstmal leicht, zu erkennen, was vergänglich ist. Frage, ist der Körper ewig oder vergänglich? Wie ihr alle wisst, er ist recht vergänglich. Und ich glaube, mit steigendem Alter wir man sich dessen mehr und mehr bewusst. Heute Morgen war ich mal in der Kirche gewesen und da war gerade eine so genante Jubelkonfirmation. Das heißt, da war goldene, diamantene und eiserne Konfirmation. Nein, goldene wäre 50. Ich habe es jetzt vergessen. Also jedenfalls 60-, 65- und 70-jährige Konfirmation. Die, die 60-jährige Konfirmation hatten, da waren viele da. Die, die 65-jährige Konfirmation hatten, waren nur noch zur Hälfte da. Und 70 Jahre Konfirmation hatten nur noch zwei. Oder auch, als wir hier eingezogen sind, gab es hier sechzehn Senioren in den Appartements. Jetzt gibt es noch zwei. Die meisten sind zwischendurch ausgezogen, sind zum Pflegefall geworden, sind entweder zu ihren Kindern oder zu Altersheimen, sie sind alle gestorben. Also den Auszug aus dem Haus hier, ins Pflegeheim oder zur Pflege bei den Kindern, haben sie nicht viel erlebt. Also, vergänglich. Körper ist vergänglich. Aber wir müssen nicht warten, bis der Körper ganz tot ist, sondern ihr wisst auch, vieles andere ist vergänglich. Haarfarbe ist irgendwann vergänglich. Man kann sich  künstliche Haarfarbe geben oder sie ganz abschneiden, dann braucht man sich um Haarfarbe keine Gedanken zu machen. Auch die Menge an Haaren ist – mindestens für die meisten – vergänglich. Die Zähne sind vergänglich, wie manche von euch vielleicht gemerkt haben. Letztlich, die Glätte der Haut ist vergänglich. Gesundheit ist vergänglich. All das ist vergänglich. Auch die Menschen, mit denen man zusammenlebt, sind in der Veränderung begriffen. Natürlich sind sie auch vergänglich. Je älter man ist, umso mehr merkt man das. Irgendwo vor kurzem hatte ich mich mal mit meiner Mutter unterhalten, vor einem halben Jahr ist sie umgezogen in eine neue Wohnung, weg von dem kleinen Dorf, in ihren Geburtsort, etwa zehn Kilometer weiter. Also nicht großer Umzug, aber für sie war das etwas ganz Bedeutsames und Großartiges. Sie hat gedacht, jetzt hat sie dann ihre ganzen Freundinnen aus der Jugendzeit, die waren nämlich alle in diesem etwas größeren Ort. Braucht nicht mehr Autofahren, hat jetzt leichter Menschen, mit denen sie zusammen spaziert. Und dann hat sie mir das Leid geklagt, eigentlich ist sie unter all denen die einzige, die noch flott spazieren kann. Also, sie hatte gedacht, sie zieht um, um Gesellschaft zu haben, um zu spazieren und jetzt stellt sie fest… Aber es gibt etwas, das ist ewig. Was ist ewig? Letztlich Bewusstsein und die Seele. Gut, die meisten von euch sind noch nicht in diesem Alter, sondern ihr seid vielleicht noch im Alter, wo das weniger eine Rolle spielt. Aber die meisten von euch sind in einem Alter, wo sie Eltern haben, die in diesem Alter sind und damit seid ihr typischerweise auch mit diesen Fragen relativ stark konfrontiert. Aber auch Besitz, wisst ihr alle, ist auch vergänglich. Vor kurzem war diese Weltwirtschaftskrise, eine Kernschmelze hätte passieren können. Also, es war durchaus möglich, dass vor einem Jahr die ganze Weltwirtschaft ganz den Bach runter gegangen wäre. Irgendwo, wenn man dem glauben kann, den Wirtschaftswissenschaftler, wenn dort damals die Hypo Real Estate Bank vor die Hunde gegangen wäre, dann wäre die Weltwirtschaft vorm Abgrund gewesen. Das hätte alle Banken in Europa mit in den Abgrund geworfen. Deshalb, irgendwo jeder Deutsche bürgt dort mit 2000 Euro für diese Bank, vielleicht sind es auch nur 1000 Euro, aber dennoch, es sind gigantische Beträge, mit denen gebürgt worden ist. Oder wenn die Amerikaner noch eine weitere Bank hätten hopsgehen lassen, nach den Lehman Brothers, würden wir hier anders sein als jetzt. Da wären alle Alterssicherungen, die man aufgebaut hat, vielleicht kaputt. Vielleicht. Vielleicht haben uns auch die Politiker nur was vorgemacht. Und eine ganze Menge hat eine ganze Menge verloren. Eine ganze Menge Menschen haben eine ganze Menge Geld verloren. Alles ist äußerlich vergänglich. Und vom Yogastandpunkt aus ist nicht wichtig – und das kommt ja nachher bei Vairagya, das hat er ja auch vorher genannt mit Vairagya, das heißt, „Die Gleichgültigkeit daran, ob man in diesem Leben oder im Jenseits in den Genuss der Früchte für Mühen und getaner Arbeit kommt.“, das ist Vairagya. Also, vom yogischen Standpunkt aus heißt es deshalb nicht, dass wir nicht uns bemühen sollten. Angenommen, man bemüht sich, einen Naturkostladen erfolgreich zu führen oder sein Yogazentrum zum Blühen zu bringen oder seinen Handwerksbetrieb oder bemüht sich um beruflichen Aufstieg, weil man irgendwo merkt, da ist ein Drive dahinter und man spürt, das will man machen. All das ist etwas, damit erfüllt man letztlich sein Karma, damit stärkt man seine geistigen Kräfte, damit erfährt man das, was man erfahren soll, damit lernt man die Lektionen, nur man weiß, nichts von dem, was man erreicht, ist dauerhaft. Manchmal sagen Menschen, „Oh, jetzt habe ich soviel gemacht, jetzt habe ich meinen Naturkostladen aufgebaut. Jetzt hat direkt daneben ein Naturkostsupermarkt aufgemacht und mein Geschäft macht Pleite. Alles umsonst.“ War alles umsonst? Nein. Die Energie, die man hineingesteckt hat, die Lektionen, die man gelernt hat, die Erfahrungen, die man gemacht hat, die hat man gemacht und die sind irgendwo wichtig. Und natürlich, ein Naturkostbesitzer wird viele Menschen irgendwo positiv beeinflusst haben auf ihrem Weg. Man wird vielen Menschen entscheidende Impulse gegeben haben. Also, es war nicht alles umsonst. Oder mein Vater hat irgendwann mal ein großes Unternehmen aufgebaut, alles zusammen über 2000 Beschäftigte an mehreren Standorten, die viertgrößte Polstermöbelfirma europaweit, große Pläne gehabt und noch Expansion zu allem Möglichen und dann Pleite. War alles umsonst? Die Erfahrungen, die er gemacht hat und die ganzen Mitarbeiter dort, waren wertvolle Erfahrungen. Und danach hat er noch mal klein angefangen und irgendwo ein Unternehmen neu aufgebaut. Irgendwo zuerst mal mit 10 Beschäftigten und irgendwann sind es wieder 100 Beschäftigte geworden und dann sind es wieder weniger Beschäftigte geworden. Obgleich ich zugeben muss, ein bisschen Masochismus war fast dabei. Da war er inmitten dieses riesen Unternehmens, wo früher mal 2000 Leute beschäftigt waren und was inzwischen in eine Konkursmasse gegangen ist und irgendwo dort in der Mitte hat er in dem kaputtesten Gebäude das neue Unternehmen begonnen. Gut, inzwischen sieht es auch wieder anders aus. Aber Dinge kommen und Dinge gehen. Viveka, die Unterscheidung zwischen dem Ewigen und dem Vergänglichen.

 

68. Teil der Niederschrift von Vorträgen und Workshops aus einem Yogalehrer Ausbildungs-Seminar mit Sukadev Bretz bei Yoga Vidya Bad Meinberg. Thema dieses besonderen 9-tägigen Vedanta-Seminars aus dem Jahr 2008 war „Viveka Chudamani, das Kleinod der Unterscheidung, von Sankaracharya“. Erklärungen für die Sanskrit Ausdrücke findest du im Yoga Sanskrit Glossar. Dieser Blog ist nicht geeignet für Yoga Anfänger. Er ist vielmehr gedacht für Menschen, die sich in Yoga Philosophie, insbesondere Jnana Yoga, auskennen und regelmäßig Meditation praktizieren, sich als spirituelle Aspiranten verstehen. Yoga Anfängern wird das Yoga Anfänger-Portal empfohlen. Für fortgeschrittenere Aspiranten und Kenner der Materie gibt es hier Einsichten und Weisheiten der besonderen Art.

Die vier Eigenschaften eines Yogi

„Vier Voraussetzungen wurden in diesem Zusammenhang von den Weisen verkündet. Nur wenn sie erfüllt sind, ist Vollkommenheit erreichbar. Wo sie fehlen, kommt man nicht ans höchste Ziel. Zuerst wird die Unterscheidung zwischen Vergänglichem und Unvergänglichem genannt, Viveka. Als nächstes die Gleichgültigkeit darüber, ob man in diesem Leben oder im Jenseits in den Genuss der Früchte für Mühen und getaner Arbeit kommt, Vairagya. Schließlich die sechs Tugenden, wie Stille der Gedanken und Gefühle, Samadhi Shadkam oder Shatsampat und die Sehnsucht nach Erlösung, Mumukshutwa. So weit ist es klar.“, behauptet Sankara im 18. Vers des Viveka Chudamani.

67. Teil der Niederschrift von Vorträgen und Workshops aus einem Yogalehrer Ausbildungs-Seminar mit Sukadev Bretz bei Yoga Vidya Bad Meinberg. Thema dieses besonderen 9-tägigen Vedanta-Seminars aus dem Jahr 2008 war „Viveka Chudamani, das Kleinod der Unterscheidung, von Sankaracharya“. Erklärungen für die Sanskrit Ausdrücke findest du im Yoga Sanskrit Glossar. Dieser Blog ist nicht geeignet für Yoga Anfänger. Er ist vielmehr gedacht für Menschen, die sich in Yoga Philosophie, insbesondere Jnana Yoga, auskennen und regelmäßig Meditation praktizieren, sich als spirituelle Aspiranten verstehen. Yoga Anfängern wird das Yoga Anfänger-Portal empfohlen. Für fortgeschrittenere Aspiranten und Kenner der Materie gibt es hier Einsichten und Weisheiten der besonderen Art.